„Wir spüren eine große Verunsicherung“
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Der Energiepreisschock bewegt Deutschland. Die KAIFU-Vorstände Dennis Voss und Ditmar Baaß sprechen über die Konsequenzen für unsere Genossenschaft und über ihre Forderungen an die Politik
Nach aktuellen Umfragen fürchtet jeder dritte Erwachsene in Deutschland, die explodierenden Energiekosten nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten bezahlen zu können. Wie hart wird der Winter?
Dennis Voss: Auch wir sehen die Entwicklung mit Blick auf Hamburg und auf ganz Deutschland mit großer Sorge. Und wir schauen dabei natürlich insbesondere auf unsere Genossenschaft. Bei der KAIFU sind wir glücklicherweise verhältnismäßig gut aufgestellt, was die Gaspreise angeht. Hier können wir zumindest bis einschließlich 2023 dank eines langfristigen Vertrags eine relative Preisstabilität gewährleisten, immer vorausgesetzt, die Lage verschlimmert sich nicht noch. Offen ist allerdings, ob und in welcher Höhe die geplante Gasumlage kommt, die alle Mieter und Eigentümer, die mit Gas heizen, zahlen müssten. Bei der Fernwärme betrifft die Verteuerung auch unsere Mitglieder. Wir rechnen mit einer Preissteigerung von bis zu 60 Prozent. Das ist sicherlich hart, aber das sind nicht die Dimensionen, die auf andere Eigentümer und Mieter zukommen, die sogar eine Vervielfachung der Energiekosten fürchten müssen. Insofern nehmen wir die Situation sehr ernst, aber sehen uns für die aktuelle Situation gut gerüstet.
Hat die KAIFU die Vorauszahlungen bei den Nebenkosten bereits erhöht?
Voss: Ja, wir haben bei Wohnungen, bei denen es erforderlich war, die Vorauszahlungen im Rahmen der Nebenkostenabrechnung bereits angepasst. Derzeit prüfen wir in Fernwärme versorgten Wohnanlagen noch genau die Situation und werden den Mitgliedern dann vorschlagen, ihre Beiträge anzupassen. Das geschieht mit einem relativ langen Vorlauf, so dass diejenigen, die das nicht möchten, dies auch ablehnen können. Wir halten es aber für sinnvoll, dass man Vorsorge trifft und so böse Überraschungen bei Nebenkostenabrechnungen zumindest in Grenzen hält.
Wie ist die Stimmung bei den Mitgliedern?
Voss: Wir spüren keine Panik, aber eine große Verunsicherung. Viele Mitglieder sind schon aktiv auf uns zugekommen und haben von sich aus den Wunsch geäußert, ihre Vorauszahlungen nach oben anzupassen. Diesen Wunsch erfüllen wir natürlich. Wir informieren sehr transparent, weisen auch auf staatliche Hilfeleistungen wie Wohngeld hin. Aber im Moment ist leider noch vieles im Unklaren.
Was passiert, wenn ein Mieter die Nebenkosten nicht mehr stemmen kann? Muss er dann mit einer Kündigung rechnen?
Voss: Wir haben schon in der Corona-Krise gesagt, dass wir niemanden kündigen werden, der unverschuldet in Not gerät. Aber dafür braucht es klare Regeln. Wir würden uns jeden Einzelfall ansehen, vor allem prüfen, ob Sparbemühungen erkennbar sind. Und wir bieten umfangreiche Beratungen an. Allerdings sind unsere Nutzungsgebühren so ausgestaltet, dass wohl niemand bei einer Erhöhung der Fernwärmekosten von 60 Prozent um seine Wohnung bangen müsste. Das ist kein realistisches Szenario. Anders würde es natürlich aussehen, wenn sich die Energiepreise verzehnfachen sollten. Dann reden wir über Dimensionen, was sehr viele Menschen von ihrem Gehalt oder ihrer Rente nicht mehr bezahlen können.
Abgesehen von den Energiekosten steigt ja auch allgemein die Inflation dramatisch. Alles wird teurer. Wer schon jetzt finanzielle Probleme hat, dürfte noch stärker unter Druck geraten. Was sollten Mitglieder tun, die fürchten, dass sie auf Sicht Probleme haben werden, ihre Miete zu bezahlen?
Voss: Sie sollten rechtzeitig das Gespräch mit uns suchen, damit wir gemeinsam eine Lösung finden. Das ist immer die beste Lösung. Und wie gesagt: Wie in der Corona-Pandemie werden wir auch jetzt versuchen, Mitgliedern zu helfen, die unverschuldet in eine Notlage geraten sind.
Herr Baaß, Sie sind im Vorstand für den Bereich Technik zuständig. Intensiv wird über den Sinn der neuen Energiesicherungsmaßnahmenverordnung diskutiert. Sie verpflichtet Vermieter von großen Gebäuden mit zentralen Gasheizungen zu jährlichen Heizungsprüfungen sowie zum hydraulischen Abgleich der Anlage.
Ditmar Baaß: Wir führen diesen hydraulischen Abgleich schon seit vielen Jahren in Wohnanlagen durch, in denen es diesen Bedarf gibt. In Wohnanlagen mit zentralen Heizungsanlagen, die jünger als 30 Jahre sind, wird dieser Abgleich ohnehin vorgenommen. Dies ist wichtig, damit in jedem Heizkörper genauso viel warmes Wasser ist, wie für die Beheizung und für die Erreichung einer Temperatur von zum Beispiel 20 Grad erforderlich ist.
Können Sie dies bitte einem Laien verständlich erklären?
Baaß: Die Leitungen einer Heizungsanlage gleichen Autobahnen, die entsprechend warmes Wasser verteilen. Das Wasser wird durch sogenannte Steigestränge in die Heizkörper hochgepumpt und fließt durch andere Leitungen wieder zurück. Durch den hydraulischen Abgleich werden die Heizkörper mit der benötigten Wassermenge versorgt. Fehlt dieser Abgleich, kann es passieren, dass weiter von der Wärmequelle entfernte Heizkörper nicht ausreichend warm werden. Dies verringert den Wirkungsgrad der Heizkessel, führt zu erhöhten thermischen Verlusten. Es wird zu viel und zu schnell Wasser gepumpt. Das kann richtig Energie kosten.
Halten Sie die neue Verordnung also für sinnvoll?
Baaß: Nur sehr bedingt. Der Zeitraum ist zu kurz. Die Kapazitäten an Handwerkern und Planern fehlen. Wenn eine Anlage hydraulisch abgeglichen werden soll, muss ein Experte die notwendigen Maßnahmen zunächst exakt durchrechnen. Und dann müssen diese Maßnahmen von Handwerkern umgesetzt werden. Zudem entscheidet in erster Linie der Nutzer, wie viel Energie eingespart wird. Wer gerne 23 Grad in seiner Wohnung hat, heizt eben entsprechend.
Könnte man zentral die maximale Heiztemperatur in den Wohnungen senken?
Baaß: Ja, das wäre möglich. Dann wären selbst bei einem voll aufgedrehten Heizkörper gegebenenfalls nur 20 oder 21 Grad möglich. Wir beschäftigen uns mit diesen Fragen aber nur mit Blick auf den absoluten Notfall, falls wir von staatlicher Seite zu drastischen Energiesparmaßnahmen gezwungen würden. Ansonsten halten wir das für eine Bevormundung unserer Mitglieder. Das lehnen wir ab.
Was sollte die Politik jetzt tun?
Voss: Niemand kann genau prognostizieren, wie sich die Situation im Winter entwickeln wird. Aber wir fordern schnelle, klare und verständliche staatliche Hilfe. Das halten wir für unabdingbar, auch um Schaden von unserer demokratischen Gesellschaft abzuwenden und den sozialen Frieden in den Quartieren aufrechtzuerhalten. Wir plädieren wie andere Wohnungsbaugenossenschaften für den Energiepreisdeckel. Denkbar wäre für uns ein Verfahren, das der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen, dem auch wir angehören, vorgeschlagen hat. 80 Prozent des Durchschnittsverbrauchs der letzten zehn Jahre könnten Haushalte zu einem günstigen Preis einkaufen. Die Differenz zum Marktpreis müsste der Staat übernehmen. Was über die 80 Prozent hinaus bezogen wird, müssten die Haushalte dann zu Marktpreisen bezahlen.
Auch das Klimapaket mit der CO2-Abgabe verteuert die Energie. Schrittweise steigt diese Abgabe für eine Tonne des klimaschädlichen Gases auf 55 Euro.
Voss: Man sollte diese Abgabe zumindest für 2023 aussetzen. Das würde zwar nicht die eingetretene Steigerung der Energiekosten auffangen, wäre aber ein wichtiges Signal. Die Politik ist jetzt gefordert, kurzfristig einzugreifen. Die Wohngeld-Reform ist richtig und sinnvoll. Aber der Weg von der Antragstellung bis zur Bewilligung kann lange dauern.
Was wünschen Sie sich noch von der Politik?
Voss: Einen Dialog auf Augenhöhe und keinen Aktionismus wie die Energiesicherungsmaßnahmenverordnung, die im Zweifel viel Geld kostet und wenig bringt. Und wir benötigen Zeit für die strategische Planung, wie wir zukünftig unsere Bestände bewirtschaften. Es wird für uns nicht möglich sein, an jeder Stelle sofort auf die gewünschte Energieversorgung umzustellen. Das ist bei einer Genossenschaft mit mehr als 5000 Wohnungen nicht möglich. Aber natürlich werden wir bei Sanierungen und Modernisierungen mögliche Energiesparmaßnahmen noch stärker im Fokus haben. Wobei wir hier schon in den vergangenen Jahren sehr viel geleistet haben.
Langfristig sollen also noch mehr Wohnungen auf Fernwärme umgestellt werden.
Baaß: Derzeit werden ungefähr noch 60 Prozent unserer Wohnungen mit Gas beheizt. Um eine hälftige Energieverteilung zwischen Gas und Fernwärme bei der KAIFU zu erreichen, müssten wir noch ungefähr 600 Wohnungen an das Fernwärmenetz anschließen. Was leichter gesagt als getan ist, weil die Kapazitäten der Fernwärmeanschlüsse schon heute für das gesamte nächste Jahr ausgeschöpft sind. Die Fernwärmebetreiber haben die gleichen Probleme wie wir. Für die angestrebte Energiewende fehlen die Handwerker.
Abschließend gefragt. Was kann jeder nun tun, um Heizkosten zu sparen?
Baaß: Wir beraten gern, daher hier nur ein paar grundsätzliche Ratschläge. Stoßlüften statt Dauerlüften, Räume nicht auskühlen lassen, sondern die Temperatur um vielleicht zwei Grad nachts absenken. Dies ist auch sinnvoll, wenn man tagsüber nicht in der Wohnung ist. Leider gibt es noch immer den Irrglauben, dass der Heizkörper schneller warm wird, wenn man das Thermostat auf Stufe fünf dreht. Die Zieltemperatur von etwa 20 Grad wird genauso schnell erreicht, wenn man nur auf Stufe 3 stellt. Wird stattdessen auf Stufe 5 gedreht, heizt der Heizkörper weiter auf bis auf etwa 28 Grad. Das ist Energieverschwendung.
Viele kaufen sich jetzt elektrische Heizgeräte. Oft sind sie ausverkauft.
Baaß: Es ist keine gute Idee, mit Blick auf die Gaspreise nun elektrisch heizen zu wollen. Diese Geräte sind wahre Stromfresser. Und die Strompreise steigen ja auch massiv. Zudem werden Sicherungen rausspringen, wenn viele Haushalte in einem Gebäude diese Geräte einschalten.
Vielen Dank für das Interview!